Working Together in der Kunst der nächsten Gesellschaft?, 2010 |
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"Wir haben den schrecklich ewigen Willen, uns auszutauschen und zu reden!" |
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Interview mit Sebastian Brünger (2004-2006 Assistant, seit 2007 festes Mitglied von RP als Dramaturg) am 28.7.2009 im Foyer des Theaters Hebbel am Ufer, Stresemannstr. 29, 10963 Berlin gegründet 2002 von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel Seither als Label in unterschiedlichster Personenkonstellation mit Mitarbeitern und stückspezifisch weiteren Spezialisten aktiv Konstellation: 1/2/3 + temporär Dramaturg, Darsteller, Bühne, Musik, Video, Assistent, Hospitant Theater-, Performance- und Hörspielprojekte Produktionen: u.a. Wallenstein (2005), Call Cutta (2005), Karl Marx: Das Kapital (2006), Breaking News (2008), Black Tie (2008), Hauptversammlung (2009), Der Zauberlehrling (2009) http://rimini-protokoll.de ![]() Illustration: Markues, 2010. Quellen: Coral Reef, flickr cc by-nc only_point_five, 2007; reef2556, gnu NOAA's Coral Kingdom Collection. Anmerkung: Die Fragen und Antworten wurden in der Nachbearbeitung thematisch strukturiert und folgen nicht der Chronologie des Gespräches. Gute Gründe für kollektive Arbeit Strukturen verkrusten schnell, die Denke bleibt auch nicht so frisch, wenn man immer in den gleichen Teams arbeitet. D.h.: eigene Ideen verfolgen und offen bleiben für neue Eindrücke. Das ist ein Balanceakt zwischen der inneren Stabilität einer Gruppe und der Offenheit nach außen. Die entscheidende Frage ist, wie das auf eine produktive Weise erreicht werden kann. Zur Arbeitsorganisation Es gibt keine festen Procedere. Kein: "Montags treffen wir uns nur für die Meta-Ideen und dienstags für die konkreten und mittwochs ist Konzeptarbeit und donnerstags k¨mmern wir uns um den Finanzkram..." Es passiert immer alles gleichzeitig; das ist teilweise sehr anstrengend und funktioniert auch nur mit dem Commitment der Gruppe. Denn es gibt bei uns oft eine unscharfe Aufteilung zwischen Arbeit und Freizeit... Es gibt wenige Zeitfenster, in denen man nur über dieses oder jenes spricht. Eher eine fließende Gesprächskultur mit fließenden Entscheidungen... Wichtig ist, dass man sich kennt und um die Arbeitsstrukturen weiß, außerdem, wer worauf Wert legt und wo man sich selber einfinden kann. Zum Arbeitsprinzip Man könnte es das Papierkorbprinzip nennen: Was als letztes reingefallen ist, wird als erstes wieder bearbeitet, der Rest sinkt nach unten, bis es irgendwann vergessen ist... Zur Arbeitskultur Es gibt nach meinen Erfahrungen eine implizite Absprache, nämlich den Versuch, einen gleichberechtigten Diskurs zu schaffen. Damit sind alle Stimmen gleichberechtigt. Alle können sich beteiligen; mit einem Appell an die innere Rationalität zu wissen, dass man in der Gruppe eben nicht drauf los plappern kann, sondern dass man gucken muss, worum geht es, wie viel Zeit haben wir, wie sinnvoll ist es, dass ich auch noch meinen Senf dazu gebe. Das ist eine Gesprächskultur, die sich schwer mit Regeln abstecken lässt, die man aber relativ schnell begreift, wenn man drei, vier Tage dabei ist... Die drei Gründer legen eine Arbeitskultur fest und leben eine Hingabe und Haltung auch in den Projekten vor. Daran kann man sich orientieren oder man kann sagen, dass ist mir zuviel... Zu Arbeitsprozessen Einer läuft vorneweg und begeistert die anderen... Ideen spinnen sich meist als Folgeprojekte. Gemeinschaftliche Arbeit bedeutet: der eine liest einen Artikel und sagt, den wollen wir treffen, der andere hat eine Sendung gesehen, dem dritten ist auf dem Flug etwas eingefallen. Zu Arbeitswerkzeugen Ein Großteil unserer Arbeit, d.h. auch der Kommunikation, findet im Netz statt. Unsere Arbeit ist zweigeteilt: 1. Teil Rechercheprozess, 2. Teil Bühnenarbeit. Die Rechercheprozesse nehmen etwa 2/3 der Arbeit ein, dabei handelt es sich teilweise auch um den Ideenaustausch (E-Mailing, Bilder ins Netz stellen). Unsere Arbeitsabläufe werden zur Zeit durch drei Webseiten unterstützt: 1. unsere offizielle Webseite für die Außenwirkung, 2. Basecamp, eine Internetplattform als eine Art Wiki, die man zwar auch in der Außendarstellung benutzen könnte, uns aber als Plattform für Filesharing, das Archivieren und Aktualisieren von Texten und die Organisation dient, 3. der Google-Kalender zur Koordination der Termine der Gruppenmitglieder. Zur Motivation Das wäre für mich: Euphorie, ein Projekt mitanzuschieben, als der elementare Motor - weniger das Geld. Zu Prioritäten Es gibt Prioritäten, die jeder selber mit sich rumführt. Jeder von uns hat innerhalb des Prozesses eines Projektes eine Prioritätenliste, was ihm wichtig ist, welche Personen ihm wichtig sind, welche Spielmomente, welche Situation, welches Material, welche Geschichte, welche Stoffe. Und dann gibt es sog. Darlings, und die kann und muss man verteidigen. Es gibt den sog. Regiefünfer für eine richtig tolle Idee, wo alle der Meinung sind, dass das eine richtig zündende Idee für ein Projekt ist und die gilt als nahezu unumstößlich. Und es gibt den Darling, den können andere Leute scheiße finden, wenn der aber verfochten wird, darf der auch drin bleiben - wenn er denn heiss genug verfochten wird. Zu Ergebnissen kollektiver Arbeit Durch Kollektivproduktion entsteht eine hohe Arbeitsdynamik, eine hohe Schlagkraft an Kreativität. Kollektivität ist eine Bedingung für viel Produktionsmasse. Kontinuität ist entscheidend, wie sich Projekte weiterentwickeln. Zur Programmatik Unsere Arbeitsergebnisse haben eine hohe Transparenz, Offenheit und Durchlässigkeit. Der Prozess ist unabgeschlossen, es gibt kein fertiges Endprodukt. Je nachdem, wie sich jeder einbringt, passiert immer noch etwas. Insofern ist für das, was auf der Bühne passiert, das Wort 'Spielregeln' entscheidend: Der Inhalt der Texte wird weniger fixiert, vielmehr werden Spielregeln für Bühnensituationen gefunden. Zur Autorschaft Ich würde sagen, dass es Autorenschaft sehr wohl gibt: vom Ursprungsgedanken des Konzeptes bis hin zur Suche der Mitarbeiter. Hierbei handelt es sich nicht um den singulären Autoren, sondern um einen Gruppenautoren. Man bekommt z. B. in Gesprächen oder Interviews bestimmte Antworten nur auf bestimmte Fragen, und da ist nicht die Antwort der Text, sondern schon die Frage, die mindestens genauso viel impliziert wie die Antwort. Insofern entsteht etwas Drittes. Wir [als RP] geben eine eigene Form, eine Grammatik. Daher sind wir alle Ko-Autoren, eine kollektive Autorenschaft, indem wir gemeinschaftlich z. B. an den Texten arbeiten. Bei "Hauptversammlung" wird die Autorschaft an die Zuschauer übergeben. Wir haben nur den Zugang verschafft und Perspektiven angeleitet und dann war es dem Zuschauer überlassen, was er macht... eine übertragene Autorenschaft. Zu Ein- und Ausschlüssen Man könnte es schon zum Kriterium machen, wer in den Google-Kalender aufgenommen wird... Zu Arbeitskämpfen Ist, wenn Arbeit und Leben untrennbar werden, ein Arbeitskampf der Rimini-Protokoll-Mitarbeiter für bessere Bedingungen vorstellbar? Oder beruht alles auf einem Konsens?: Es gibt keinen Anforderungskatalog oder eine Stellenausschreibung. Du bringst dich ein, wie du dich einbringen willst und tust das in Absprache auf Rückwirkung deiner Kollegen. Zu Dissenz Wenn Streit eskaliert, ist es eine Sache von 2 Leuten, also derjenigen, die es betrifft. Im normalen Berufsleben gilt ja doch: Arschloch zu jemandem zu sagen, den ich sietze, ist einfacher, als wenn ich weiß, dass Freundschaften auf dem Spiel stehen. Zu Endlosdiskussionen Ausstiegsstrategien bei Endlosdiskussionen sind bei uns eher subtil: Einige werden müde, einige kriegen Hunger, dritte müssen sich um ihre Kinder kümmern. Es gibt keine explizite Strategie, Endlosdiskussionen nach einer Stunde abzubrechen. Wer reden will, sollte reden dürfen! Ich würde mir manchmal wünschen, dass es eine klarere Zielführung gebe... Bei Publikumsgesprächen erzählen wir gern, dass wir manchmal auch eine Münze werfen. Aber sicher nicht bei Grundsatzentscheidungen. Es gibt keine Kampfabstimmung. Zu Entscheidungsprozessen Alle müssen dran bleiben. Es gibt so etwas wie die Gewohnheitsregel, dass spätestens am folgenden Tag eine Lösung gefunden werden sollte. ...reden und dann Abstand suchen! Nicht ins Nirvana reden! Es gibt Momente, in denen man merkt, jetzt kommt man einfach nicht weiter. Aber wir haben den schrecklich ewigen Willen, uns auszutauschen und zu reden! Und dies ist nicht durch autoritäre Regeln abzubinden, am Ende gibt es nur die schleichenden Exits, wenn man dann nicht mehr kann. Wenn wir uns lange Zeit nicht gesehen haben, dann gibt es eine klare Agenda, eine Traktantenliste von 10 Punkten, die besprochen werden müüsen: Termine, inhaltliche Punkte, organisatorische Fragen, Personen und persönliche Sachen. Und wenn es Stress gibt, werden diese Punkte auch geschoben, ganz klassisch wie in Unternehmen, Parlamenten, aber es gibt niemanden, der autoritär sagt, "so wird es jetzt gemacht...". Zu Hierarchien Hierarchien drücken sich aus im Wissen, vor allem um das Geld und die Budgets, in der Mitsprache, wer darf mitreden und in der Beteiligung, wer ist bei welchen Gesprächen dabei. Unser Dank an Sebastian Brünger. | |||
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