Working Together in der Kunst der nächsten Gesellschaft?, 2010 |
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"Gruppen sind extrem effizient, wenn sie aufeinander abgestimmt sind. Verglichen damit ist das Modell des Star-Architekten sehr labil und eigentlich ein Auslaufmodell." |
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Interview mit Christoph Heinemann und Christoph Schmidt am 29.7.2009 auf dem Bürgersteig gegenüber des ifau-Büros, Dresdenerstr. 26, 10999 Berlin gegründet 1998 im Kern 4-5 befreundete Architekten temporär interdisziplinäre Erweiterungen mit Architekten, Künstlern, Designern, Soziologen... Arbeitsspektrum: städtebauliche und architektonische Entwürfe, Realisierungen, Forschungsprojekte sowie Installationen und Aktionen im urbanen Kontext http://ifau.berlin.heimat.de Illustration: Markues, 2010. Quellen: Doppelhaus, flickr cc by-nc-sa vielphoto, 2007; Wasp nest in Russell's barbeque, flickr cc by Dano, 2006. Anmerkung: Die Fragen und Antworten wurden in der Nachbearbeitung thematisch strukturiert und folgen nicht der Chronologie des Gespräches. Zur Gründungsmotivation der Kerngruppe Im Kern sind wir kein offener Verbund, sondern Leute, die schon seit 15 Jahren zusammenarbeiten. Wir haben uns sofort nach dem Studium gegründet, denn es gab den Wunsch, die Zusammenarbeit in verschiedenen Konstellationen auch nach dem Studium fortzuführen. Statt das Büro sofort auf ökonomische Füße zu stellen, wollten wir mit offenen Fragestellungen arbeiten. Am Anfang gab es die Idee, ein Netzwerk aus verschiedenen Leuten zu bilden, die von unterschiedlichen Orten aus agieren. Aber es stellte sich schnell heraus, dass es einer bestimmten Nähe bedarf, um gemeinsame Inhalte zu entwickeln. Zum Kollektiven Unsere Unterschiedlichkeit macht das Kollektive aus. Wir haben auf unterschiedliche Weise Geld verdient, mit Lehrtätigkeiten oder der Arbeit in anderen Büros, und sind dann für gemeinsame Projekte zusammen gekommen. Das Partizipative, das Offene, das Thema der Verhandlungsräume war von Anfang an für unsere Arbeit bestimmend. Das was wir machen, ist das Kollektive, d.h. unser Output ist so gestaltet, dass man Architektur entweder durch partizipative Prozesse herstellen kann oder sie aneignungsoffen ist. Das Kollektive bezieht sich auf die Inhalte, über die wir nachdenken und auf das, was wir produzieren. Das vernetzte Arbeiten findet sich in den verschiedenen Kollaborationen, die wir eingehen. Wir sind ein starker Kern, arbeiten aber immer mit anderen Leuten zusammen. Diese Kollaborationen in allen Projekten sind uns sehr wichtig. Zum Verhältnis von Arbeit/Privatleben Bei uns ist die Trennung von Arbeit und Privat jederzeit möglich. Wenn ich sage, "ich geh mal nach Hause", dann bin ich auch weg. Und das ist bei uns kein politisches Konzept. Die Trennung ist einfach, weil wir immer einen gemeinsamen Arbeitsraum hatten, in dem sich unsere gemeinsamen Aktivitäten konzentrierten. Zu Entscheidungsprozessen Wir entwerfen immer alle an einem Produkt, auch wenn es ein Tisch ist. Es geht nichts raus, womit wir nicht alle einverstanden sind; "alle" meint in jedem Fall 3 bis 5 Leute. Das kann man als hemmend beschreiben, weil es anstrengend ist, alles gemeinsam zu kommunizieren. Es ist aber gleichzeitig ein starkes Korrektiv. Da wir sehr viel Zeit damit verbringen, zu diskutieren und zu probieren, können wir bei Anfragen sehr viel präziser sein als Andere, weil wir schon genau eingegrenzt haben, was wir wollen, was wir vertreten können und was nicht. Diese Arbeitsform hat Vorteile, da man die Zeit, die man beim Diskutieren "verloren" hat, wieder rein holt. Zu Arbeitswerkzeugen ...wir bauen Modelle, machen Zeichnungen, reden dann über die Zeichnungen. Wir benutzen auch keine elektronischen Plattformen, wir arbeiten eher "hausbacken" und sehr direkt. Zur Arbeitskultur Partizipation und Verhandlung sind bei uns nicht nur Themen, sondern werden auch im Verhältnis zum Kooperationspartner gelebt, d.h. auch, dass wir den Einfluss des Bauherrn bewusst zulassen. Gleichzeitig kommt unsere Stringenz daher, dass wir jahrelang an unseren Inhalten gearbeitet haben. Wenn ich jetzt eine aufgeblasene Erdbeere irgendwohin in die Stadt stelle, die nichts mit dem zu tun hat, was wir jahrelang entwickelt haben, dann definitiv unter einem anderen Label. Durch die lange Zusammenarbeit werden wir immer besser, immer eingespielter, immer genauer. Sachen, die wir vor drei Jahren diskutieren mussten, diskutieren wir heute nicht mehr, stattdessen diskutieren wir andere Sachen. Zur Arbeitsweise Ich muss sagen, ich kann seit langem nicht mehr allein entwerfen. Ich könnte es schon, aber es würde ganz anders aussehen und wäre bestimmt sehr problematisch. ...wir entwerfen oft auf einem einzigen Blatt. Bei uns gibt es einen Inhalt, den wir gemeinsam geschärft haben, das ist sozusagen der "Common Ground". Gleichzeitig suchen wir nach Kooperationspartnern, um eben diesen "Common Ground" wieder zu öffnen. Zur Arbeitseinstellung Wir haben einerseits einen internen Diskurs über Architektur, andererseits gibt es Anforderungen an Architektur heute - dazu versuchen wir, Stellung zu beziehen. Unsere Position ist verkürzt gesagt: die Produktion einer offenen und aneignungsfähigen Architektur. Das lässt sich abgrenzen von anderen Positionen in der Architektur. Das ist unser gemeinsamer Anspruch und Inhalt, daraus ergibt sich eine bestimmte Arbeitsweise, mit Problemstellungen, Wettbewerben oder Anfragen von Bauherren umzugehen. Wir haben aber keine fertigen Lösungen oder Prototypen. Zur Gefahr der Homogenisierung durch Konsensentscheidungen Man könnte annehmen, Konsensentscheidungen würden die jeweils individuellen Stärken innerhalb der Gruppe verwischen oder egalisieren. Unter zeitlichem und ökonomischem Druck ist es aber ein Vorteil und effizienter, im Konsens zu arbeiten, das muss nicht unbedingt eine Homogenisierung der Inhalte bewirken. Die gemeinsamen Inhalte müssen eben scharf sein, dann ist die Übereinstimmung eher eine Stärke. Zu Voraussetzungen von Kollektivität Ich meine, dass es bei allen kollektiven Projekten eine gemeinsame inhaltliche Zielstellung geben muss. Das Entscheidende ist - und das gilt intern und extern -, dass man etwas voneinander will und einen Gegenstand der Auseinandersetzung hat, der alle Beteiligten interessiert. Zu inter- und intradisziplinären Arbeitsweisen Der Unterschied ist, dass man sich bei intradisziplinärer Arbeit blind versteht, während es bei einer interdisziplinären Kooperation ein handfestes Interesse gibt, nämlich den Austausch von Fähigkeiten. Zur Kommunikation Die Verbesserung von Kommunikationsstrukturen ist bei uns kein Dauerthema. Eigentlich nur bei Problemen oder wenn sich neue Möglichkeiten ergeben. Bei externen Kooperationspartnern haben wir mal über einen Weblog nachgedacht, aber da sind wir noch nicht so avanciert. Zu Hierarchien und Verantwortlichkeiten Intern gibt es keine Hierarchien oder Filterungen. Es gibt ohnehin nur eine E-Mail-Adresse, so dass alle alles erfahren. Wer zuerst ein Thema anspricht, kümmert sich auch darum. Außerdem wird jedes Projekt von einem Ansprechpartner betreut. Zur Offenheit/Geschlossenheit der Gruppe ...es wird immer leichter, Andere mit aufzunehmen, da unsere Position immer klarer ist. Wir können offener agieren, da wir wissen, wo unsere Interessen liegen. Zur Außenkommunikation Da unsere Gruppe ein Stück weit austauschbarer geworden ist, kann jeder von uns die Gruppe nach Außen hin vertreten. Zur Urheberschaft und Rechtsform Wir sind eine eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) - das Risiko besteht darin, dass jeder mit seinem persönlichem Kapital haftet. Zum Glück haben die Bauherrn diese Rechtsform immer akzeptiert. In jedem Projekt gibt es feste Ansprechpartner. Zu Bezahlungen Das Geld wird nach Kapazitäten und geleistetem Aufwand aufgeteilt. Wer wie lange im Büro gearbeitet hat, wird im Nachhinein geschätzt. Die Bezahlung ist anteilsmäßig, aber auch bedarfsmäßig: Wenn jemand eine Stelle an der Uni hat und ein volles Gehalt bekommt, er aber dennoch oft im Büro tätig ist, kann es sein, dass man das erwirtschaftete Geld gar nicht braucht. Davon kann dann etwas anderes oder jemand anderes finanziert werden. Immer wenn Geld reinkommt, wird das Honorar neu ausgehandelt. Die Bezahlung ist oft nur eine symbolische. Die Aufteilung verläuft sehr harmonisch, denn jeder tritt immer mehr zurück, damit genug zum Verteilen da ist. Zur Kollektiverweiterung Je stabiler wir sind, desto einfacher ist es, jemanden von Außen zu integrieren. Denn man läuft nicht mehr Gefahr, das zu verlieren, was man entwickelt hat. Inhaltliche Zerfaserung wäre für uns wirklich eine existentielle Bedrohung. Aber es gibt ein ökonomisches Problem: Wir sind jetzt 4 bis 5 Leute und der Satz, den wir machen müssten, um zehn Leute zu werden, müsste durch andere Projekte oder andere Organisationsmodelle gewährleistet werden. Man könnte auch sagen, gemeinsame Inhalte: ja - Bezahlung: nein. Das ist legitim und passiert woanders ständig. Aber wir haben bisher immer versucht, das zu vermeiden. Manchmal haben Leute, die für uns gearbeitet haben, mehr Geld verdient als wir. Zur Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern Andere Büros sind oft an entfernten Standorten. Normalerweise gibt es jeweils einen Ansprechpartner auf jeder Seite, aber mit dem ganzen Architekturbüro haben wir nur selten Kontakt. Von Außen kommen sehr gute Impulse: Kooperationspartner sind bereichernd, da sie unserer abgeschlossenen Gruppe als Korrektiv dienen. Oft entdeckt man auch über die Gemeinsamkeiten, dass die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, eine Relevanz haben. Zum Einsatz von Praktikanten Praktikanten werden voll integriert, aber die sagen halt oft nichts. Angesichts eines so eingeschworenen Haufens braucht es Zeit einzusteigen. Wir haben jeweils einen Praktikanten über lange Zeiträume, das entwickelt sich dann. Praktika werden nicht gut bezahlt, aber doch bezahlt. Das zum Beispiel ist ein No-Go Bereich für uns, weil es sich um Ausbeutung handelt. Manchmal bekommen wir Angebote, dass Leute für uns umsonst arbeiten wollen, aber das lehnen wir ab. Zu Vorteilen von Kollektiven Auf jeden Fall kann in einer nichthierarchischen Gruppe der ökonomische, zeitliche oder juristische Druck besser aufgefangen werden, da man gemeinsam Problemlösungen erarbeiten kann. Bei uns werden alle Reaktionsmöglichkeiten im Büro vorsimuliert. Gruppen sind extrem effizient, wenn sie aufeinander abgestimmt sind. Verglichen damit ist das Modell des Star-Architekten sehr labil und eigentlich ein Auslaufmodell. Zu ethischen Grundsätzen Unsere Grundsätze für Entscheidungen beruhen auf unseren inhaltlichen Interessen, danach suchen wir uns Wettbewerbe aus. Wenn uns jemand anspricht, dann hat derjenige sozusagen Interesse an unserer Ethik. Somit wird unsere Art des Ansatzes und unsere Denkweise also in der Praxis eigentlich nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wir sollten aber auch vorsichtig sein, eine bestimmte Arbeitsweise zu mythologisieren. Seit etwa zwei Jahren hocken wir morgens im engsten Raum, in der Küche, zusammen und jeder der reinkommt, schnattert einfach drauflos, über Probleme, Ideen und Anfragen. Da werden komplette Tagespläne in der Küche erstellt und man kann Dinge auch ganz schnell gemeinsam lösen. Uns interessiert die Gebrauchsperformanz von Architektur mehr als der technologische Möglichkeitsraum. Das Thema der Verhandelbarkeit zieht sich durch alle Maßstäbe. Wir sind sehr an der Entwicklung von sozialer Architektur interessiert. Wann fängt Architektur an, sozial wirksam zu sein oder soziale Prozesse zu ermöglichen? Man muss sagen, dass man in der Architektur in einer extremen Form Trendentwicklungen ausgesetzt ist. Und dazu kommt, dass Architektur in einem alternativen Kontext immer eine marginalisierte Position war. Da Architektur ein sehr kostenintensives Feld ist, gibt es in Deutschland nur eine kleine Gruppe, die sich dem Architekturdiskurs widmet. Denn die Frage lautet meistens: "Baust du oder baust du nicht?" Und wenn du baust, dann baust du meistens für Leute, die Geld haben. Früher gab es mehr Geld und Förderungen für Architektur, die sich mit gesellschaftlicher Entwicklung auseinandersetzt. Heute ist es eher eine Frage der eigenverantwortlichen Positionierung innerhalb der Architektur. Daher nehmen wir in der allgemeinen Architekturentwicklung eine eher marginale Position ein. Dennoch kann ich mir gut vorstellen, auch mit einem echten Global Player zu arbeiten und mal zu auszuloten, wie weit man mit unserer Argumentation gehen kann. Zum Standort Berlin Warum lebt man in Berlin? Weil man es sich leisten kann, hier viele experimentelle ökonomische Modelle zu fahren. In London oder Paris wäre das sicher anders. Dadurch hat man auch weniger Zeitdruck, man muss nicht alles in eins, zwei Jahren entwickeln. Wir basteln ja schon seit zehn Jahren an unserer inhaltlichen Position. Wenn uns jemand was fragt [z. B. für die Mediaspree neben die O2-Arena die Vodafone-Arena bauen zu wollen. Anm. d. Verf.], dann würden wir erstmal versuchen, ganz konkret zu handeln. Da der Konflikt um die Mediaspree sehr polarisiert verläuft, wären wir daran interessiert, an der Verhandlung teilzuhaben. In Berlin gibt es sehr viele Veranstaltungen vom Senat, die nur vorgeben, Anwohner an städtebaulichen Entscheidungen teilhaben zu lassen, wie das Beispiel Tempelhof belegt. Hier wird die Frage nach einer politischen Aktivität wieder wichtig, gerade um diesen pseudo-demokratischen Initiativen entgegenzuwirken. Daher finde ich, dass auf der Ebene der Stadt dieses schwarz/weiß Spiel (wie "Vodafone ja oder nein?") sehr schwierig ist. Die zentrale Frage ist doch: Was haben die Einwohner von den Veränderungen? Und nicht, ob wir die Bar 25 noch länger haben werden oder stattdessen noch eine zweite Vodafone Arena bekommen. Für uns ist die Organisation eines Prozesses interessant, in dem man die klassischen Gentrifizierungsentwicklungen einer Stadt kombiniert mit den Bedürfnissen der Einwohner und zum Profit des Quartiers. Zur politischen Praxis Wir waren nie politisch tätig, d.h. nie in einer Partei oder in einer politischen Gruppierung. Aber in letzter Zeit überlegen wir, ob dies nicht vielleicht notwendig wäre. So wie wir Architektur auffassen, glauben wir jetzt, dass man politisch viel aktiver sein sollte, und zwar in einem durchaus herkömmlichen Sinn. Durch diese lange Zeit, die wir zusammen gearbeitet haben, sind wir immer mutiger geworden, bestimmte Erwartungshaltungen nicht einfach zu akzeptieren. Wir versuchen klar zu machen: Nicht alles ist mit Architektur lösbar. Architektur kann dazu dienen, bestimmte Probleme sichtbar zu machen und zuzuspitzen, um eine Diskursebene für die beteiligten Partner zu öffnen. Daher würde ich die Frage stellen, wie Architektur den Arbeitsalltag politisieren kann, wenn man nicht nur produziert, sondern Prozesse in Gang setzt. Das meinen wir, wenn wir von der Verhandelbarkeit von Raum sprechen. Man könnte sagen, dass wir in der Architekturszene unsere eigene NGO sind, da unsere Position konträr zum Mainstream läuft. Aber gerade aufgrund unseres Anspruchs fragen wir uns beispielsweise: Was ist sozialer Wohnungsbau? Denn die Antworten, die Architekten auf städtebauliche Probleme geben können, sind sehr begrenzt. Da muss man sich durchaus nach anderen Plattformen umsehen, um seine Ideen durchzudrücken. Das Wort 'Kompromiss' ist zum Beispiel in der Architektur oft mit einem Mangel behaftet. Es steht dafür, dass nicht das erreicht worden ist, was als Optimum angestrebt wurde. Wir hingegen sehen 'Kompromiss' unter einer radikaldemokratischen Perspektive als etwas Positives, da es uns ja um Verhandlung geht. Die Frage, wie sich das politische Engagement noch stärker als politische Form manifestieren lääst, ist für uns noch nicht abgeschlossen. Unser Dank an Christoph Heinemann und Christoph Schmidt. | |||
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